Wie werde ich ein Charakter?

Aus Charakter - eine Macht - 1. Kapitel: Wie werde ich ein Charakter?

 

Die Welt ruft: „Wer rettet uns? Wir brauchen einen Mann.“ Suche diesen Mann nicht gar so weit. Er ist dir ganz nahe; dieser Mann – du bist es, ich bin es; jeder von uns ist es! – – Wie aber soll man sich selbst zum Mann machen? Nichts ist schwerer, wenn man es nicht zu wollen versteht; nichts leichter, wenn man es will.

Dumas.

Wie es in der Welt nichts Größeres gibt, als den Menschen, so gibt es nichts wahrhaft Großes im Menschen, als den Charakter.

Evarts.

Das Leben ist ein weißes Blatt,

das jeder zu beschreiben hat

mit einer Zeile oder zwei’n,

dann bricht die tiefe Nacht herein.

Beginne groß! Ist kurz die Zeit,

Ein Tropfen nur der Ewigkeit –

Lass deine Zeile göttlich sein!

Dann ist Erfolg, der wahre, dein.

Lowell.


 

„Zuerst“, sagte Präsident Garfield, als er noch ein Knabe war, „muss ich mich zum ganzen Mann machen; wenn mir das nicht gelingt, kann mir nichts gelingen.“

 

„Der natürlichen Ordnung der Dinge folgend, ist der Beruf des Menschen – da alle Menschen gleich sind – der Beruf der Menschlichkeit“, sagt Rousseau in seiner berühmten Abhandlung über Erziehung; „und wer dazu erzogen ist, seine Pflicht als Mensch zu erfüllen, der ist nicht übel vorbereitet, irgendeine Stellung einzunehmen. Es ist mir ziemlich gleichgültig, ob mein Schüler für die Armee, für die Kanzel, oder für die Rechtswissenschaft bestimmt ist. Die Natur hat uns für das menschliche Leben bestimmt, ehe unsre Stellung in der Gesellschaft bestimmt wurde. Zu leben – das ist der Beruf, den ich ihm lehren möchte; wenn ich mit ihm fertig bin, so wird er allerdings weder ein Soldat, noch ein Advokat, noch ein Geistlicher sein. Aber zuerst sei er ein Mensch. Das Schicksal kann ihn dann von einer Rangstufe in die andere weisen; er wird immer an seinem Platz sein.“

 

Wir müssen also bedenken, dass, wie Dr. Maxou uns sagt, die Hauptsache im Leben nicht die ist, zu tun, sondern die, zu werden; und dass die Tat selbst ihre schönste und dauerhafteste Frucht im Charakter trägt. John Stuart Mill hat diesen Gedanken klar ausgedrückt:

 

„Der Charakter selbst sollte einem jeden das wichtigste Ziel sein, einfach deshalb, weil die Existenz einer idealen Schönheit des Charakters, oder auch nur eine Annäherung daran, einen größeren Einfluss auf ein glückliches, menschliches Leben ausübst, als alles andere: Glücklich sowohl in dem verhältnismäßig bescheidenen Sinn von Vergnügen und Abwesenheit des Schmerzes, als glücklich in der höheren Bedeutung: Aus einem unbedeutenden und nutzlosen Leben ein solches zu schaffen, wie es menschliche Wesen von hochentwickelten Fähigkeiten zu leben wünschen würden.“ Jedermann kann diesem Ziel zustreben. Wird auch unser Charakter durch die Umstände geformt, so können doch unsere eigenen Wünsche viel dazu beitragen, diese Umstände herbeizuführen und zu gestalten. Und das Edle und Begeisternde des freien Willens ist die Überzeugung, dass wir wirkliche Gewalt über die Bildung unseres eigenen Charakters besitzen; denn indem unser Wille unsere Umstände beeinflusst, vermag er auch unsre künftigen Gewohnheiten und Kräfte zu gestalten.

 

Woraus bestünde der Charakter, wenn nicht aus dem Resultat unserer Wahl und unserer Abwehr?

 

Wir suchen aus dem Leben heraus, was wir wollen. Wir gleichen Insekten, die von den Blättern und Pflanzen, von denen sie leben, die Farbe annehmen; denn früher oder später werden wir unserer Geistesnahrung gleich, den Geschöpfen ähnlich, die in unserm Herz leben. Jede Handlung unseres Lebens, jedes Wort, jede Ideenverbindung ist mit stählernem Griffel auf unser eigentliches Innere geschrieben.

 

„In einer Blume gibt es Tau, in einer anderen nicht“, sagt Beecher, „weil die eine ihren Kelch öffnet, um ihn zu empfangen, während die andere sich schließt und keinen Tau aufnimmt.“ Wir schaffen unsere Zukunft selbst. Unser Entschluss wird ihr seinen Stempel aufdrücken. Ein Entschluss ist eine Prophezeiung.

 

Es gibt weder eine freudige Hoffnung, noch ein großes Ziel für den, den kein unerschütterlicher Entschluss begeistert; dieser allein ist der wahre Dolmetsch seiner Männlichkeit.

 

„In der innersten Tiefe unseres Herzens“, sagt Robertson, „wohnt nicht nur der bloße Wunsch nach Glück, – sondern eine Sehnsucht, ein Bedürfnis, ebenso natürlich, wie der Wunsch nach Nahrung: – Die Sehnsucht nach höheren, besseren Lebenszielen.“

 

Wohl dem, der diese Sehnsucht zu befriedigen vermag. Wenn ein Jüngling in die Welt treten wollte mit dem festen Entschluss, nie etwas anderes als die absolute Wahrheit zu sagen; jedes Versprechen aufs Wort zu erfüllen; jede Verabredung mit der größten Pünktlichkeit und Rücksicht auf anderer Leute Zeit einzuhalten; seine Ehre als einen unbezahlbaren Schatz zu betrachten, und in dem Bewusstsein zu handeln, dass sein Tun klar vor der Welt daliegt, und dass er nicht um Haaresbreite von Wahrheit und Recht abweichen darf – wenn er von Anfang an diesen Standpunkt einnehmen wollte, so würde er das ungemessenste Vertrauen der Menschheit genießen.

 

Was wir sein werden, das sind wir schon jetzt in unseren Absichten. Wie die künftige Eiche in der Eichel gefaltet liegt, so liegt in der Gegenwart unsere Zukunft.

 

Unser Erfolg kann und wird nur ein natürlicher Baum sein, entsprungen aus dem Samenkorn, das wir selbst gepflanzt haben; der Duft seiner Blüten und der Reichtum seiner Früchte wird von der Nahrung abhängen, die unsere Vergangenheit und unsere Gegenwart ihm gewährt haben.

 

Das erste Resultat aller Erziehung und aller Disziplin sollte Mannesstolz sein.

Zähes Holz muss von gutgewachsenen, festen Bäumen kommen. Solch ein Baum kann zu einem Mast, zu einem Piano, aber auch zu einer köstlichen Schnitzerei verwendet werden. Aber es muss erst trockenes, festes Holz geworden sein. Zeit und Geduld entwickeln das Bäumchen zum Baum; und so wird auch das Kind durch Disziplin, Erziehung und Erfahrung zu festem Holz im geistigen, physischen und moralischen Sinn.

 

Der einzige wirkliche Erfolg, der den Namen verdient, hat seine Wurzel in dem Bewusstsein, dass man mit den Jahren an geistiger und moralischer Kraft, an tieferer und höherer Einsicht gewinnt.

 

Zu fühlen, wie unsere Fähigkeiten wachsen und sich entfalten – das ist beglücktes, lebenswertes Leben. Dieses Bewusstsein hat etwas Göttliches an sich.

 

Als Mendelssohn sich einst die große, berühmte Freiburger Orgel ansah, wollte der Küster, der ihn nicht kannte, ihm anfangs nicht erlauben, die Orgel zu probieren; als er nach vieler Überredung es dennoch tat, stand er weltentrückt – nie vorher hatte er solch herrliche Melodien gehört. Und als er den Spieler nach seinem Namen gefragt hatte, da stand er beschämt vor dem großen Künstler.

 

Ein größerer Musiker als Mendelssohn hat die menschliche Orgel gebaut, und sein Geist ist es, der darauf spielt und herrliche Töne hervorbringt; nur das Göttliche in uns lässt sie harmonisch ertönen.

 

Eine alte Sage erzählt uns, wie einst die Bewohner eines alten, ärmlichen Dörfchens, als sie hörten, dass der König sie durch seinen Besuch ehren wolle, ihn zu bewillkommnen beschlossen. Früh und spät mühten sie sich, ihr Dörfchen zu schmücken, damit ihre Wohnungen ihm gefallen. Als sie ihr Bestes getan hatten, gingen sie endlich am Abend vor der Ankunft ihres Herrn zur Ruhe. Doch siehe, in der Nacht, während sie schliefen, stiegen Engel vom Himmel hernieder und verwandelten das bescheidene Werk der Armen in eitel Herrlichkeit.

 

Die Morgensonne enthüllte ein Schauspiel von Glanz und Pracht. An Stelle der Hütten erhoben sich stattliche Häuser, weißer Marmor leuchtete, wo einfaches Holz gewesen war, goldene Türme ragten in die Luft, Springbrunnen stiegen in wolkigem Dufte auf, und Palmenbäume beschatteten mit ihren zierlich gezeichneten Blättern den Dorfplatz.

Dies ist nur eine Fabel; aber dem Sinn nach ist die Geschichte wahr.

 

Wenn wir aus Liebe zum Guten, zum Wahren, zum Schönen unsere Lebensarbeit mit unseren besten Kräften tun, so wird diese Arbeit ungeahnt und uns selbst unbewusst schön und edel sein. Und wenn unser kurzer Tag zu Ende geht, da wird es nicht darauf ankommen, ob wir große Dinge getan haben; nein - einzig und allein darauf, dass wir auch unsere kleinen Pflichten in Treue erfüllt haben.

 

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