Die Psychologie des Erfolgs

Aus Aufwärts: Praktische Ratschläge für die Jugend - 24. Kapitel: Die Psychologie des Erfolgs

 

Unser ganzes Leben ist eine Reise auf der Suche nach uns selbst. Und was wir finden, wie viel wir von uns, von unsern Möglichkeiten, unsern latenten Kräften entdecken, hängt oft sehr von besonderen Umständen und von Zufälligkeiten ab.

 

Gar manche hatten schon den Meilenstein ihres fünften Jahrzehnts hinter sich, ehe sie den Schlüssel fanden, der ihnen das Tor ihres Selbst aufschloss und die in dessen Innern aufgespeicherten Schätze freigab.

 

Das Tor zu diesen Möglichkeiten kann auf verschiedene Weise geöffnet werden: eine Krise, ein unerwartetes Ereignis, ein schwerer Verlust, bitteres Herzleid kann uns den ersten Blick in den tiefen Schacht tun lassen. Oder ein freundlicher Händedruck, ein gütiger Mensch, der etwas in uns sieht, was sonst niemand gesehen hat.

 

Es ist gut, mein junger Freund, wenn du annehmen kannst, dass du bisher nur einen Teil deiner Anlagen entdeckt und noch nicht das ganze Gebiet deiner Möglichkeiten durchforscht hast, wenn du hoffen darfst, dass noch manches in dir schlummert und du noch nicht alle, deine Hilfsquellen erschöpft hast.

 

Wer schon auf eine gewisse Spanne seiner Lebenszeit zurückblicken kann, weiß, wie der Zufall einem manchmal einen Schlüssel zu bisher verschlossenen Türen in die Hand spielt. In meinem eigenen Fall war es das Buch „Selbsthilfe“ von Samuel Smiles, das mir zu ganz unvermuteten Offenbarungen über mein Inneres verhalf. Als ich von diesen wunderbaren Beispielen schwererkämpfter Erfolge las, sagte ich mir immer und immer wieder: „Warum soll ich das nicht können, warum kann ich das nicht?

 

Ich wüsste gar nicht wo anfangen, wollte ich den Eindruck, die ganz neue Welt schildern, die sich durch dieses Buch vor mir auftat.

 

Irgendjemand hat gesagt: „Gleich wie die Sonne die Knospe zum Blühen einladet, wie sie die Pflanze aus dem dunklen Erdenschoß hervorlockt, wie sie den Lebenssaft durch den Stamm des Baumes treibt, so möchte ich, dass meine Schriften Männer und Frauen zum Licht rufen könnten, aus der sie umgebenden Finsternis in den Sonnenschein und die Wärme der Freude, in der sie ihr Selbst zum Ausdruck zu bringen vermöchten.“

 

Wenn ein von Missgeschick verfolgter Mensch erschöpft, des Kampfes müde, an sich und der Welt verzweifelnd, einmal nur einen Blick auf den Riesen, den er in sich birgt, auf die noch unverbrauchte Kraft werfen könnte, würde er wohl alles aufbieten, um sie hervorzuholen und zu seinem Beistand aufzurufen. Seine schlummernden Fähigkeiten zu entdecken, herauszufinden, was alles noch ungenützt in einem liegt, ist die Kunst aller Künste.

 

Diese Fähigkeiten und Möglichkeiten können unter einem Wust von Unwissenheit, Unglauben, Angst, Sorge, Hass, Eifersucht, Rache, Neid, Egoismus begraben sein, und dieser mag durch eine neue Einstellung des Denkens und Fühlens, eine andere Auffassung vom Leben hinweg geräumt werden.

 

Seinem eigenen Ich gegenüber den richtigen Standpunkt einzunehmen, ist außerordentlich wichtig. Was zu deiner Ermutigung beiträgt, stärkt deine Leistungsfähigkeit, Verzagtheit lähmt sie. Befreiung von Druck aller Art kann ein Talent vervielfachen.

 

Darwin sagt, die Schwingen des Adlers hätten sich entsprechend seinem Drang, zu fliegen, im Äther zu schweben, entwickelt. Nun, und deine Sehnsucht, dein Streben nach der Höhe wird auch deine geistigen und seelischen Schwingen so entwickeln, dass sie dich hoch über deine Erdenschwere hinausheben können. Nur muss immer erst ein Verlangen und ein Ideal vorhanden sein.

 

Durch die ganze Geschichte hindurch lassen sich bemerkenswerte Beispiele verfolgen, wie Männer, die sich in den ersten Zeiten ihres Lebens nicht hervorgetan hatten, durch ein plötzliches Ereignis auf eine ganz andere, viel größere Laufbahn gedrängt wurden.

Es ist merkwürdig, ein wie langsamer Prozess Selbstentdeckung manchmal zu sein pflegt. Eine Unmasse von Menschen entdecken sich denn auch nie, gehen in Mittelmäßigkeit durchs Leben, oder werden – und zwar nicht zuletzt von sich selber – als verfehlte Existenzen angesehen. Und wer weiß, wie viele tüchtige Eigenschaften in ihnen stecken mochten, ohne dass sie eine Ahnung davon hatten!

 

Eine ganze Reihe von Kräften scheint durch kunstvolle Schlösser abgesperrt zu sein, und nicht zwei können mit dem gleichen Schlüssel aufgemacht werden. Und wenn der richtige Augenblick, der das „Sesam, öffne dich“ sprechen könnte, nicht erfasst wird, bleiben diese Kammern für alle Zeiten geschlossen.

 

Der Planet Neptun wurde durch sogenannte Interferenz, durch gewisse Berechnungen entdeckt, da ohne ihn unser Planetensystem nicht vollständig gewesen wäre. Es wurden nämlich Störungen in der Bahn der übrigen Planeten wahrgenommen, die auf die relative Nähe eines andern Planeten schließen ließen. Obgleich die Astronomen ihn bisher nie zu Gesicht bekommen hatten, kamen doch verschiedene von ihnen, jedoch ganz unabhängig voneinander, zu der Überzeugung, dass ein noch unbekannter Planet existieren müsste, wenn sich auch dessen Stellung einstweilen noch nicht bestimmen lasse. Ihre eifrigen Forschungen führten dann nach einiger Zeit zu der Entdeckung des Neptun.

 

So mag es auch manchen Menschen ergangen sein, dass ihnen im Lauf der Jahre zum Bewusstsein kam, es müsse noch etwas in dem System ihres Lebens, Denkens und Empfindens fehlen. Sie fühlten, dass irgendetwas noch nicht stimme, und erst, als sie erkannten, dass dieses Etwas in ihnen selbst, auf dem Göttlichen in ihnen beruhe, kam ihr Gewissen mit sich ins Reine. „Seit unser Gewissen sich am sittlichen Ideal der Christuslehre zu messen hat, fallen nicht bloß unsere Handlungen, sondern unsere geheimsten Beweggründe, unsere gemütlichen Antriebe in sein Bereich, und selbst Abweichungen, welche nicht direkt dem Willen unterworfen sind, werden uns als Zeichen mangelhafter Gesundheit unseres sittlichen Gesamtwillens zum Vorwurf.“

 

Tausende und Abertausende, die vielleicht Nullen oder niedergeborene, unglückliche Geschöpfe wären, fühlen sich heute reich, weil sie vom Geist dieser Lehre berührt wurden, die ihnen zur Entdeckung ungeahnter Schätze in ihrem Innern verhalf. Sie hat Unzählige erweckt, die für das Göttliche ihres Wesens tot waren, die bisher nur Menschliches in sich gesehen hatten und sich für so gering, so ohne alle Bedeutung hielten, dass sie und ihre Arbeit gar nicht in Betracht kommen könnten.

 

Alles was zur Harmonie unseres Wesens, zum besseren Verständnis unserer Zusammengehörigkeit mit dem Schöpfer beiträgt, ist eine mächtige Hilfe für Selbstentdeckung, weil wir uns wunderbar gestärkt fühlen, wenn wir wissen, dass er unser Kampfgenosse ist.

***

Gewissenhaftigkeit, Treue im Kleinen, das Bestreben, jeden Tag des Lebens zu einem Glückstag im schönsten Sinn zu machen, dies alles sind Mittel und Wege zur Selbstentdeckung. Wir müssen den Preis zahlen, ehe uns das Tor aufgemacht wird, hinter dem unsere reichsten Möglichkeiten liegen.

 

Leider lassen wir uns nur zu leicht abschrecken oder lassen es auf halben Versuchen beruhen. Wir sollten uns entschließen, jeden Tag mit uns selbst abzurechnen; wir bilden uns ein, wenn wir das Leben als ein Ganzes nehmen, werden wir schon damit fertig werden und machen uns nicht klar, dass wir, wenn ein Erfolg daraus werden soll, aus jedem einzelnen Tag einen Erfolg machen müssen. Wenn du täglich, stündlich Fehler begehst, wenn du den Tag verbringst, ohne etwas Rechtes zu leisten, wird auch dein Leben, als Ganzes genommen, nichts Rechtes werden. Du musst jeden Tag zu einem Erfolg stempeln, jeden Tag ein Höchstmaß an dich anlegen mit jenem „Fleiß, den keine Mühe bleichet“. Nur dann vermag unser Wille seine höchste Kraft zu erreichen – Schritt für Schritt, von Stufe zu Stufe. Halte dir das Ideal, das du erstrebst, ständig vor Augen, nimm dir jeden Morgen vor, dass du an jedem Abend mit Befriedigung auf deinen Tag zurückblicken wollest, soweit dies von deinem Willen abhängt; nimm dir vor, dass du keinen Stein ungewendet lassen willst, der irgendwie eine neue Schönheit zu deinem Bau fügen könnte. Der Tag ist’s, mein junger Freund, der deine ganze Kraft von dir verlangt. „Ist es nicht Wohltat, wenn eine große Aufgabe auf uns liegt, dass sie sich in die Pflichten der einzelnen Stunde zerlegt, dass wir vor den Anforderungen, welche das Heute bringt und welche das Heute zu bewältigen vermag, die Mühen, welche auch alle morgenden Tage bringen werden, noch kaum zu erblicken vermögen?“

 

Was du im Leben vollbringen willst, muss jeden Tag um ein Stück gefördert werden; halte nicht zu viel vom Leben als einem Ganzen!

 

Warum dich beim Zwerg aufhalten, warum dich damit begnügen, dem kleinen Knirps in dir zum Auskommen zu verhelfen, anstatt den Riesen an die Arbeit heranzuholen? Wie oft empfinden wir zu spät, dass es der kleine Knirps war, der die armselige Rede hielt oder das armselige Buch geschrieben hat, wo doch ein weit besserer Redner, ein weit besserer Schriftsteller zur Verfügung stand. Oder dass es der kleine Knirps war, der uns zum ewigen Angestellten machte, wo wir vielleicht der Geschäftsführer hätten sein können, dass er uns zu Mittelmäßigkeit verdammte, anstatt dass wir den Riesen zu Hilfe riefen, uns über den Durchschnitt zu heben!

 

Einen Anfang machen, unverzagt einen Versuch machen, um den Riesen hervorzulocken, ist schon ein bedeutsamer Schritt. Hilty sagt: „Der Entschluss, zu einer Arbeit hinzusitzen, seinen Geist auf die Sache richten, ist im Grund das Allerschwerste. Hat man erst einmal die Feder oder die Hacke in der Hand und den ersten Strich oder Schlag getan, so ist die Sache schon um vieles leichter geworden.“

 

Vielleicht gibt es keinen einzigen Menschen auf der ganzen Welt, der nicht erstaunt wäre, wenn sämtliche Kräfte, die in ihm liegen, der Reihe nach vor ihm aufmarschierten. Wahrscheinlich würde er sich nicht erkennen und würde sagen: „Das bin ich gar nicht; das ist nur ein Bild, und zwar das Bild eines viel tüchtigeren, begabteren Menschen. Die Eigenschaften, mit denen dieser ausgestattet ist, und die unbedingt den Erfolg gewährleisten, gehören einer starken Persönlichkeit an, nicht einer, wie ich sie bin.“

 

Vermöchten wir unser Ich mit Röntgenstrahlen zu durchleuchten, würden wohl die meisten von uns Anlagen entdecken, die wir nicht einmal bis zur Keimfähigkeit brachten.

 

Wie oft ersehnen junge Menschen, die nach Wissen und Bildung dürsten, eine Gelegenheit, aus ihrer sie beengenden Umgebung herauszukommen, um ihrem Talent zu seinem Recht zu verhelfen! Nirgends scheint sich ein Weg zu öffnen, ein Lichtstrahl zu zeigen – und doch, wenn sie ihren Notruf erklingen ließen, würde etwas in ihnen zur Antwort geben: „Du kannst.“ „Strecke deine Hand aus in Gottes Namen; wisse, dass das Wort ‚unmöglich‘ da, wo Wahrheit und Erbarmen und die ewige Stimme der Natur befehlen, in dem Wörterbuch des braven Mannes keinen Platz hat; dass wenn alle Menschen ‚unmöglich‘ gesagt haben, und du allein noch übrig bist, dann erst deine Zeit und deine Möglichkeit gekommen ist. Nun bist du an der Reihe. Tue es und frage keinen Menschen um seinen Rat, sondern bloß dich und Gott. Bruder, es liegt in dir die Möglichkeit zu Vielem – die Möglichkeit, die Geschichte eines heroischen Lebens auf den ewigen Himmel zu schreiben.“ (Carlyle.)

 

Vor einiger Zeit hörte ich von einem Mädchen, das, trotzdem es sein vierzehntes Jahr erreicht hatte, geistig noch nicht weiter entwickelt war, als ein kleines Kind. Es träumte vor sich hin, zeigte wenig Interesse für seine Umgebung, bis es plötzlich eines Tages beim Anhören einer Drehorgel wie aus einer Betäubung erwachte. In wenigen Tagen holte es Jahre ein, feine Fähigkeiten entwickelten sich überraschend schnell, die kindliche Knospe hatte sich fast mit einem Schlag zur Blüte entfaltet.

 

Viele von uns befinden sich in der Lage dieses Mädchens. Auch in uns schlummern ungeahnte Kräfte, die nur des Weckrufes harren.

 

„Was ich am nötigsten brauche“, sagt Emerson, „ist jemand, der mich dazu bringt, zu tun, was ich kann.“

 

Zu tun, was ich kann, ist die Frage, nicht was ein Lincoln, ein Bismarck, ein Goethe tun könnte.

 

Die ursprünglich nur für das Leben der großen Gesellschaft erzogene Vorsteherin einer höheren Schule in New York äußerte einmal, als über dieses Thema gesprochen wurde: „Als ich entdeckte, dass man mich in der Welt brauchen könne, erwachte ich zum Bewusstsein der Tatsache, dass eine Seele, etwas Größeres als ich, in mir sein müsse und somit etwas, das ich andern zu geben habe.“

 

Statt als Schmetterling durchs Leben zu tändeln, hat diese Frau in ihrem Lehrberuf nicht nur ihr größeres Selbst gefunden, sondern sie hilft auch Tausenden von andern Frauen und Mädchen, ein Gleiches zu tun.

 

Ähnliche Beispiele könnten noch in Menge angeführt werden, aber bei diesem einen Menschen muss ich der unzähligen gedenken, die sich nie im Leben entdecken!

 

Wenn es auch notwendig ist, jedes Mittel anzuwenden, von jeder helfenden Hand, die sich bietet, Gebrauch zu machen, um zu diesem Ziel zu gelangen, so darf doch nie vergessen werden, dass wir dabei in erster Linie auf unsere eigene Kraft angewiesen sind.

 

Leider pflegen wir meistens mehr nach äußeren Hilfsmitteln, als nach den inneren Quellen zu forschen, aus denen wir schöpfen könnten.

 

Wir meinen, sie aus Büchern, aus der Schule, einem Menschen holen zu können, aber die eigentliche Kraft, die schaffende Energie, die das Vollbringen zu übernehmen hat, muss immer aus uns selber kommen, die kann nicht von außen in uns dringen.

 

Was der neuen Lebensphilosophie ihren besonderen Stempel aufdrückt, ist, dass sie uns zeigt, dass es unter unserer Würde ist, durchs Leben zu gehen, ohne die unzähligen Keime wundervoller Möglichkeiten zu nützen, die nur des Augenblicks harren, wo das „Werde“ gesprochen wird, um zu treiben, zu sprossen, Blüten entfalten und tausendfältige Frucht tragen zu dürfen.

 

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